Folge 1: Was ist Stress und wie entsteht er?
„Woran erkenne ich als Kopfmensch, dass ich gestresst bin?“ fragte mich neulich ein Klient. Diese Frage ist für Kopfmenschen in der Tat nicht so einfach zu beantworten, wie es für viele scheinen mag.
Daher möchte ich in einer Stress-Trias darauf näher eingehen:
- Folge 1 gibt eine Übersicht, was Stress überhaupt ist und wie er entsteht.
- Folge 2 wird sich mit der Frage beschäftigen, woran der Kopfmensch erkennen kann, dass er gestresst ist.
- Folge 3 thematisiert, was Kopfmenschen bei Stress tun können.
Streng genommen ist Stress eine Reaktion des Körpers auf einen Reiz, der von außen über unsere Sinnesorgane oder von innen durch einen Gedanken ausgelöst wird.
Der Körper bereitet sich durch diesen Auslöser auf eine anschließende Handlung vor, die ihm evolutionär bedingt, das Überleben durch Flucht, Angriff oder Verteidigung sichert.
Warum wird der Körper durch Reize in Gang gesetzt?
Biologisch gesehen funktioniert der Mensch noch wie zu Urzeiten. Wir scannen permanent unsere Umwelt auf Gefahren und prüfen, wie wir unser Überleben sichern. Unser Gehirn als mächtige Schalt- und Steuerzentrale steuert und koordiniert sämtliche Körperreaktionen.
Es dient aber auch als Speicher für alle Erfahrungen, Situationen und Eindrücke unseres Lebens, denn ein schneller Zugriff auf wiederholte Erfahrungswerte, sichert unser Überleben noch stärker. Millionen dieser Prozesse werden in Bruchteilen von Sekunden gesteuert und sind für uns nicht wahrnehmbar.
Wenn unser Gehirn nun über unsere Sinne etwas Relevantes wahrnimmt, löst es in Bruchteilen einer Sekunde über die gelernten Erfahrungswerte eine Emotion und anschließend eine Körperreaktion aus. Es werden dabei von einer Wahrnehmung oder einem Gedanken entweder eine Anspannung- oder eine Entspannungsreaktion ausgelöst.
Die Säbelzahntiger von heute
Stress bedeutet also das Auslösen einer Körperreaktion, die durch eine bereits negativ bewertete Wahrnehmung und oder einem negativen Gedanken bedingt ist. Diese Stressreaktion aktiviert in Windeseile unseren Überlebensinstinkt und bereitet unseren Körper auf Flucht, Angriff oder Verteidigung vor.
Zu Urzeiten sicherte dies das Überleben vor den Säbelzahntigern und Mammuts.
Heute funktionieren wir biologisch noch genauso. Allerdings zeigen sich heute die Säbelzahntiger in Form von Zeitdruck, Erfolg, Existenzsorge, Versagensangst, Work-Life-Balance etc. und kommen
deutlich zahlreicher vor als früher.
Was passiert bei Stress eigentlich im Körper?
Der Hirnstamm ist der älteste (ca. 500 Millionen Jahre) und robusteste Teil des menschlichen Gehirns. Er ist eine Schalt- und innere Energiezentrale, die für alle lebenswichtigen Bereiche zuständig ist:
- Er gibt Impulse für Hunger, Durst, Sexualtrieb, Angriff und Flucht
- Er steuert über das vegetative Nervensystem den Blutdruck, die Herztätigkeit, die Blutzusammensetzung, die Verdauung, die Muskelspannung, das Immunsystem, den Schlafzyklus und den Hormonstatus.
Bei Stress (also Gefahr, Angst, Ärger...) wird unserer Körper in Bruchteilen einer Sekunde auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Dies erledigt das Vegetative Nervensystem (VNS) völlig autonom; also ohne das Bewusstsein.
Dazu versorgt es die großen Muskelgruppen mit den Energiehauptträgern
-
Sauerstoff
(Das Hormon Adrenalin weitet die Atemwege. Die Atmung beschleunigt sich, damit mehr Sauerstoff aufgenommen werden kann.) - Blutzucker und
- Cholesterin
Die beiden letzteren werden aus dem Gewebe in den Blutkreislauf gegeben und zusammen mit dem Sauerstoff über den Blutkreislauf vom Herzen zu den Muskelgruppen geleitet. Die erhöhte Nährstoffkonzentration lässt das Blut dickflüssiger werden. Zusätzliches Blut wird noch aus dem Magen-Darmtrakt abgezogen, was zur Erlahmung der Verdauung führt.
Die Herz- und Pulsfrequenz steigen. Die Blutgefäße verengen sich zwecks Blutdruckerhöhung, um die Muskeln schneller mit diesem Energiecocktail versorgen zu können.
Das ebenfalls ausgeschüttete Noradrenalin (Hormon und Neurotransmitter) sorgt unterdessen für einen klaren Kopf und inneren Antrieb. Bei Stress unterstützt es die Entstehung von Angst und fördert durch die Verknüpfung von Situationen mit Emotionen eine erhöhte Aufmerksamkeit und Denkfähigkeit. Dies ist allerdings nicht zu verwechseln mit sehr starker Angst (z.B. Prüfungsangst), wo der Zugriff auf den Präfrontalen Cortex (unser Wissensspeicher, Denk- und Analysebereich unseres evolutionär jüngeren Teil des Gehirns) versperrt ist. Auch bekannt als Denkblockade, die sich erst ca. 20 min nach der Stressbelastung auflöst.
Das Immunsystem läuft während dieser Stresssituationen auf Sparflamme. Denn sonst wäre die Gefahr zu groß, dass es in seiner Übererregung den eigenen Körper angreift (dies passiert übrigens bei den Autoimmunerkrankungen). In dieser Zeit wäre der Körper anfälliger für allerlei Krankheiten. Einen gewissen Schutz erhält er durch die Ausschüttung Cortison-ähnlicher Stoffe, die entzündungshemmend wirken. Kommt der Mensch zur Ruhe, geht allerdings auch die Cortisolproduktion zurück. Ein Phänomen, das viele kennen, wenn sie endlich im Urlaub ankommen und dann von einer Erkältung etc. beeinträchtigt werden.
Dieses körpereigene Hormon Cortisol sorgt auch dafür, dass die Drehzahl schnell hochfährt und über längere Zeit anhält. Bleibt der Cortisolspiegel jedoch dauerhaft hoch, werden vermehrt Fettsäuren aus den Fettzellen freigesetzt, die sich im Fettgewebe einlagern, wenn sie nicht durch körperliche Anstrengung verbraucht werden. Dieser Prozess kann später zur Verfettung führen.
Zusätzlich unterdrückt es die Produktion des Glückshormons Serotonin, des Antriebshormon Dopamin und des Schlafhormons Melatonin.
Höchstleistung für das nackte Überleben zu Lasten der Gesundheit
Es handelt sich hierbei also um ein hocheffizientes superschnelles System, das im komplexen und feinabgestimmten Prozessen Höchstleistung ermöglicht, die der Arterhaltung dient. Durch die Stressauslöser entstehen bis zu 22 schädliche Körperreaktionen (auch Stressmetabolismus genannt) bei denen es ums Überleben geht und nicht um einen gesunden Dauerzustand. Sobald der Energiecocktail durch Kämpfen oder Laufen verbraucht wird, fährt das System wieder runter und will sich regenerieren.
Diese ganzen Prozesse laufen automatisch
- bei jedem neuen Reiz ab, den unser Gehirn als gefährlich einstuft, aber auch
- bei jeder bereits negativ bewerteten Wahrnehmung und
- bei jedem negativen Gedanken.
Je häufiger wir also mit negativen Gedanken die Stressreaktion auslösen, desto eher stellen sich weitere Konsequenzen im Körper ein.
- Der nervöse Zustand kann zum Dauerzustand werden, wodurch Depressionen und Burnout begünstigt werden.
- Das geschwächte Immunsystem lässt die Allergieschwelle sinken.
- Die ständige Erhöhung des Muskeltonus führt zu Verspannungen bis hin zum Bandscheibenvorfall.
- Es steigt auch das Risiko für Diabetes 2, Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall, wenn wir bei Stress den Energiecocktail nicht durch Bewegung abbauen.
- Die Denkleistungsfähigkeit im Großhirn wird bei Flucht oder Angriff heruntergefahren. Dies lässt die Konzentration und Leistungsfähigkeit sinken.
- Die Lust auf Sex lässt nach.
- Die Zellen altern schneller durch die erhöhte Konzentration der freien Radikale und den erhöhten Stoffwechsel. Es kann zur Zelldegeneration bis hin zu einem erhöhten Krebsrisikos kommen.
Unser Denken hat also kurz- mittel- und langfristig Konsequenzen, denn jeder Stressgedanke beeinträchtigt unsere Gesundheit und Lebensqualität.
Der nächste Schritt zu mehr Leichtigkeit, Gelassenheit und Energie
Die gute Nachricht ist, dass wir die Anzahl der Stressreaktionen reduzieren können.
Dazu ist es hilfreich überhaupt erst einmal zu überprüfen, woran Sie Stress bei sich erkennen und wie Sie Ihre eigenen Stressauslöser identifizieren können.
Mehr dazu erfahren Sie in Folge 2 der Stress-Trias.
Ich freue mich auf Sie.
Ihre Jill Doppelfeld
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